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Gerhard

Jahrgang: 1950
Wohnort: Zürich
Diagnose: Restless-Legs-Syndrom (RLS)
«Das Restless-Legs-Syndrom führt ein Eigenleben. Und ich versuche, mein Leben so gut wie möglich ‘nebendran’ zu führen. Cannabis hilft mir dabei».
«Film schauen, auf dem Sofa liegen, lesen oder meditieren. Was Sie vielleicht als entspannend empfinden, ist für mich die reinste Qual.»
Gerhard
Patientengeschichten

Ich gehöre zu den 1 bis 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung, die an einer schweren Form des sogenannten Restless-Legs-Syndrom (RLS) leiden. Begonnen hat alles, als ich in meinen Vierzigern war. Immer häufiger fingen meine Beine ohne ersichtlichen Grund an zu zucken. Die Beschwerden nahmen im Laufe des Tages zu – im Zug, bei der Arbeit oder beim Einschlafen. Immer öfter wachte ich nachts auf, heimgesucht von unkontrollierbaren Spastiken. Dagegen half nur, in der Wohnung «herumzutigern». Die Spastiken hörten dann sofort auf. Aber sobald ich mich hinlegte, ging das Theater von vorne los. Ein Teufelskreis begann: Tagsüber nickte ich wegen des Schlafentzugs immer häufiger kurz am Arbeitsplatz ein. Und gleichzeitig wurden die nächtlichen Zuck-Attacken immer stärker. Schliesslich ging ich zum Hausarzt und der verordnete mir sofort eine Abklärung im Schlaflabor. Anschliessend hatte mein Zustand einen Namen: Restless Legs Syndrom.

Erkrankung ohne passendes Medikament

Weil RLS schlecht erforscht ist und es keine geeigneten Medikamente gegen die Krankheit gibt, verschrieb mir der Neurologe ein Parkinson-Medikament. Das ist üblich bei RLS. Madopar® heisst das Medikament mit dem Wirkstoff L-Dopa (Levadopa). Das Präparat half mir, RLS besser zu ertragen. Der Nachteil: Ich darf nicht zu viel einnehmen, sonst kehrt sich die Wirkung um und ich werde noch «zappeliger». Nach ein paar Jahren war es soweit: L-Dopa wirkte kaum mehr. Es begann eine Odyssee, während der ich zahlreiche weitere Parkinson-Medikamenten, Neuroleptika (Beruhigungsmittel) bis zu höheren Dosen von Opiaten ausprobierte. Keines der Medikamente half nachhaltig.

Per Zufall entdeckte ich die positive Wirkung von Cannabis gegen meine Beschwerden, als im Freundeskreis ein Joint die Runde machte. Ich zog ein paar Mal und schlief danach wie ein Stein. Von nun an half ich immer mit Cannabis nach, wenn mein Medikament nicht wirkte. Und ich gehe sogar so weit zu sagen, dass es mich davor bewahrt hat, Suizid zu verüben – wie es mein Grossvater getan hatte. Auch er litt mutmasslich an RLS und wurde deshalb mehrfach zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen. Was sie dort mit ihm angestellt haben, von ans Bett fesseln bis Elektroschocks, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

Stillhalten bedeutet «Folter»

Für RLS-Betroffene geht ruhig sitzen müssen je nach Tagesform und Tageszeit mit grossen Qualen einher. Auch mir verlangte es viel Energie ab, normal zu arbeiten. Besonders schlimm waren endlose Sitzungen am späten Nachmittag. Denn dann nahmen und nehmen auch heute noch meine Symptome zu. Aus Furcht, als «krank» und nicht mehr leistungsfähig abgestempelt zu werden, verheimlichte ich über Jahre hinweg am Arbeitsplatz meine Erkrankung. Ich hielt mehr als 15 Jahre durch und war auch in psychologischer Behandlung, weil mich die Situation sehr belastete. Erst am Schluss meiner beruflichen Laufbahn habe ich mich «geoutet». Mit 60 Jahren liess ich mich dann frühpensionieren. Seitdem kann ich mich besser mit der Krankheit arrangieren: Ich gehe laufen, fahre Velo oder gehe schwimmen, wenn die Zuckungen am Nachmittag beginnen. Das hilft sehr gut, sofern ich es nicht übertreibe. Denn bei Überanstrengung passiert das Gegenteil – ich kann nachts nicht schlafen.

Ärger mit den «legalen» Medikamenten

Da mir das Parkinson-Medikament (L-Dopa) nur bedingt hilft und ich zunächst nicht auf das «illegale» Cannabis angewiesen sein wollte, besorgte mir mein Arzt eine Spezialbewilligung des BAG. Daraufhin habe ich legale Cannabis-Tinkturen ausprobiert, später das zugelassene Cannabis-Spray Sativex. Beide brachten mir – aufgrund der hohen Kosten von 1500 bis 3000 Franken pro Monat – nur Scherereien mit der Krankenkasse. Ich musste bis hoch zum Krankenkassen-Chef reklamieren, damit die Kasse die Kosten für die Medikamente schliesslich doch noch «aus Kulanz» übernommen hatte. Zudem nützten die Tinkturen kaum etwas gegen meine Zuckungen.

Seit dieser negativen Erfahrung therapiere ich mich nur noch mit Cannabis-Blüten – neben meinem Parkinson-Medikament L-Dopa. Mein Cannabis muss ich mir auf dem Schwarzmarkt besorgen. Das ist mir nicht recht. Mein Wunsch ist es deshalb, dass sich die Gesetzgebung zugunsten Betroffenen wie mir ändert. Dass es für uns endlich legal wird, Cannabis – auch mit dem Wirkstoff THC – selbst zu Therapiezwecken anzubauen oder zu kaufen und zu konsumieren. Das würde einen grossen zusätzlichen Druck von meinen und den Schultern anderer betroffener Menschen nehmen.

Wissenswertes zum Restlest Legs Syndrom (RLS)

  • RLS ist die zweithäufigste neurologische Erkrankung (bis 10%) in der Bevölkerung.
  • Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.
  • Rund 70 % der Betroffenen hat schwache Symptome, die nicht behandelt werden müssen.
  • Es gibt keine zielgerichteten RLS-Medikamente, aber oft helfen Parkinson-Medikamente .
  • RLS triff häufig das erste Mal zwischen 30 und 50 Jahren auf und verschlimmert sich mit dem Alter.

Was ist RLS?

  • RLS ist eine neurogische Erkrankung mit diesen möglichen Symptomen: Ziehen, Spannen, Kribbeln, Schmerzen, Zucken, Hitzegefühl oder andere unangenehme Gefühle in den Beinen, Armen oder Händen.
  • Diese Beschwerden führen zu Bewegungsdrang auch nachts, was teilweise zu massiven Schlafstörungen bei den Betroffenen führt.
  • Der Schlafmangel kann Leistungsreduktion, soziale Isolation, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken und -handlungen zur Folge haben.
  • Bei schmerzhaften Formen des RLS entwickelt sich meist ein chronisches Schmerzsyndrom.

Für weiterführende Informationen über RLS informieren Sie sich auf der Website RLS Expert, die Gerhard Girschweiler mit ins Leben gerufen hat.