Jan
«Sobald ich nur noch fünf Beruhigungstabletten im Glas hatte, bekam ich Panik. Ich war medikamentenabhängig.»
Wenn man Jan heute sieht, fällt es schwer zu glauben, dass er bis 14 Jahre in der höchsten Schweizer Junioren-Liga Fussball spielte und vier bis fünf Mal pro Woche trainierte. Dass er passte, dribbelte, grätschte, was das Zeug hielt. Diese Phase seines Lebens scheint eine Ewigkeit her zu sein.
2015 – Jan ist mitten in der Pubertät – melden sich die Vorboten seiner später diagnostizierten Erkrankung Parkinson. Jan ist ständig müde und antriebslos, ihn plagen Schmerzen und die ersten Konzentrationsstörungen und Gedächtnislücken treten auf. Schlimm sind auch die charakterlichen Veränderungen, die Jan durchmacht: Er empfindet nichts mehr, weder Freude noch Trauer. Auf Freundinnen und Freunde wirkt er kalt und abgestumpft – viele brechen den Kontakt ab. Untersuchungen ergeben, dass Jans Körper nicht ausreichend Dopamin, einem wichtigen Neurotransmitter, produziert. Von da an nimmt er Medikamente ein, die seinen Körper mit Dopamin versorgen, und die seinen ursprünglichen Charakter «wiederherstellen».
Endlich die Diagnose
Zu dieser Zeit quälen den jungen Mann immer wieder starke Schmerzen. «Ich konnte mir manchmal nicht einmal mehr selbst die Schuhe binden, geschweige denn länger laufen. Für mich bedeutete Sport mal alles. Mit 16 fing ich an, Cannabis zu rauchen gegen meine Schmerzen. Und obwohl es kein medizinischer Cannabis war, half es mir für jeweils rund 20 Minuten. Wenn die Schmerzen wieder zunahmen, drehte ich den nächsten Joint», erzählt er. Bei einer Untersuchung in Universitätsspital Zürich wird endlich – aus seiner Sicht viel zu spät – eine Rückenmarkpunktion bei Jan vorgenommen. Endlich erhält der damals 18-Jährige die Diagnose Parkinson. Und mit ihr das Parkinson-Medikament Madopar verschrieben. «Zu Beginn nahm ich jeweils nur eine halbe Tablette und konnte sofort wieder aufrecht gehen.»
Das Medikament markiert damals einen Wendepunkt in Jans Leben. Seine Lebensenergie und seine Konzentrationsfähigkeit kehren zurück. Jan absolviert mehrere Schnupperlehren und beginnt schliesslich eine Lehre als Koch in einem Alterszentrum mit Restaurant. Die abwechslungsreiche Lehre gefällt ihm, er schreibt gute Noten und wird vom Personal geschätzt. «Es war eine gute Zeit. Die Arbeit hat Spass gemacht, ich konnte von zuhause ausziehen und eine WG gründen», blickt er zurück.
Katastrophe vor dem Lehrabschluss
Leider nimmt die Wirkung seines Medikaments mit der Zeit ab und die Symptome seiner Erkrankung nehmen zu. Schmerzschübe und Zuckungen suchen ihn auch oft während der Arbeitszeit heim. Seine schlechte körperliche Verfassung führt zu schlechteren schulischen Leistungen. Einige Monate vor der Lehrabschlussprüfung ziehen Jan und sein Ausbildungsbetrieb die Reissleine. «Es ging einfach nicht mehr – ich musste die Lehre kurz vor den Prüfungen abbrechen. Schon der fünfminütige Arbeitsweg mit dem Velo hat mich geschlaucht. Daran, ganze Schichten durchzuhalten, war nicht mehr zu denken.» Leider lehnt die IV es ab, dass Jan seine Lehre in einem anderen Betrieb abschliesst. Die Begründung: Seine Erkrankung sei bereits zu sehr fortgeschritten.
Jans unbeschwerte Jahre
Was macht ein junger Mann, der vom einen auf den anderen Tag nicht mehr arbeiten kann und darf? Er geniesst das Leben. «Ich bin oft einfach mit dem Handy, dem Ladekabel und meinen Medikamenten aus dem Haus. Ich habe zu meinen Parkinson-Medikamenten auch noch die Beruhigungsmittel Temesta und später Xanax verschrieben bekommen. Das bedeutete, dass ich mich wieder schmerzfrei bewegen konnte und dass ich – durch die Opiate und Cannabis begünstigt – offener auf Menschen zugehen konnte». Jan hat Erfolg bei Frauen, schläft oft auswärts bei alten und neuen Freundinnen und Freunden. Rückblickend bezeichnet er diese Phase seines Lebens als «beste Zeit». Nur gibt es ein Problem.
Die Medikamentenfalle
Jans Körper gewöhnt sich an die ständige Medikamenteneinnahme und verlangt nach immer höheren Dosierungen. «Nach drei Jahren, um das Jahr 2020 herum, habe ich gemerkt, dass ich medikamentenabhängig bin. Sobald ich nur noch fünf Tabletten im Glas hatte, bin ich panisch geworden und musste mir zwanghaft neue Medikamente besorgen.» Rückblickend ist er nicht stolz darauf, dass er sich bei mehreren Ärzten Rezepte hat ausstellen lassen und auch ab und zu «in der Apotheke eine Szene gemacht» hat. Jan weiss, dass er selbst verantwortlich war für seine damalige Situation. Aber er kritisiert, dass es keine Kontrollmechanismen gibt, die Menschen wie ihn davon abhalten, medikamentensüchtig zu werden. Dass Ärzte, Ärztinnen und auch das Apothekenpersonal nicht gezielter den Konsum hinterfragen. Und er gibt zu: «Ich bin dreist geworden. Oft habe ich gelogen und zwei bis drei Dosen Xanax auf einmal in der Apotheke bezogen, um meine Sucht zu befriedigen.»
Im Laufe der Zeit verändert er sich durch die Medikamenteneinnahme: Alte Freundinnen und Freunde und seine Familie erkennen ihn nicht wieder und wenden sich teilweise ab. «Mir war alles egal, Xanax machte mein Leben leicht. Ich habe nicht an die Konsequenzen gedacht.» Selbst als seine Mutter an Brustkrebs erkrankt, besucht er sich nicht im Spital. «Ich hatte einfach nicht den Mut», sagt er traurig. Er merkt, dass es so nicht weitergehen kann, hat aber nicht die Energie, seine Situation zu ändern.
Der Totalabsturz
Nach drei Jahren ist Jan so abhängig von den schmerzstillenden und betäubenden Medikamenten, dass er sogar nachts mehrmals «nachlegen» muss. Im Verlauf der Sucht entwickelt Jan eine Angststörung, geht nur noch aus dem Haus, um neue Medikamente zu besorgen. Im Frühjahr 2020 ist Jan ein körperliches und seelisches Wrack: Ständig plagt ihn Durchfall, er zittert, schwitzt und wird von Ängsten heimgesucht. Als er nicht mehr weiterweiss, ruft er selbst in der psychiatrischen Notfallstation an. «Ich habe ihnen gesagt, dass sie mich abholen sollen», sagt er. Dort macht er «harten» Medikamentenentzug. «Man wollte mir ein anderes Beruhigungsmittel verschreiben, aber ich habe mich dagegen gewehrt. Das hätte meine Situation nicht geändert. Rund zwölf Tage bin ich durch die Hölle. Ich hatte Durchfall und musste mich erbrechen, habe rund zehn Kilogramm verloren. Aber ich habe durchgehalten.» Gesprächs- und Bewegungstherapie begleiten Jan durch den stationären Aufenthalt. Nach sieben Wochen verlässt er die Klinik früher als gedacht – auf eigene Verantwortung.
Medizinischer Cannabis als Stütze
Bis heute hat Jan nie wieder Opiate zu sich genommen. «Wenn ich nur daran denke, bekomme ich schwitzige Hände», erzählt er mit Schaudern. Stattdessen setzt er seit längerem – und seit 2023 mit einem Rezept seiner Hausärztin – auf medizinischen Cannabis. Dessen Wirkung dämpft nicht nur die Schmerzen seiner Parkinson-Erkrankung, es stabilisiert auch Jans psychische Verfassung. «Ich fühle mich klarer dank Cannabis und meine Stimmung ist insgesamt viel ausgeglichener», erzählt er. Er raucht drei unterschiedliche Cannabis-Sorten. Eine aktivierende am Morgen, eine beruhigende am Abend und eine ausgleichende.
Seit seinem Entzug beschäftigt sich Jan auch wieder mehr mit sich selbst. Er geht – wenn er es sich leisten kann – zur Akupunktur und treibt wieder Sport. Auch auf seine Ernährung und sein Körpergefühl achtet er. Körperlich geht es Jan wieder besser, obwohl er das Fortschreiten seiner Erkrankung spürt. Cannabis hilft ihm, die Schmerzen zu ertragen – kann sie ihm jedoch nicht ganz nehmen. Dies hat zur Folge, dass sich auch seine Sozialkontakte verringert haben. «Von den Leuten aus meinen wilden Jahren ist niemand mehr bei mir. Aber ich habe ein paar gute Freunde und meine Familie, auf die ich mich verlassen kann. Und wer weiss, vielleicht gehört das ja zum Erwachsen werden dazu, dass das Leben ein bisschen langweiliger wird?», sagt er, nimmt einen Zug von seinem Joint und lächelt entspannt.
Wissenswertes über Parkinson
Parkinson ist eine chronische und fortschreitende neurologische Erkrankung, die vor allem das zentrale Nervensystem betrifft. Die Krankheit wurde nach dem britischen Arzt James Parkinson benannt, der sie erstmals 1817 in einem Essay beschrieb. Parkinson ist auch als Morbus Parkinson oder Parkinson-Krankheit bekannt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genaue Ursache von Parkinson ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Ein wichtiger Aspekt der Krankheit ist der Verlust von Nervenzellen in einem bestimmten Bereich des Gehirns, der als Substantia nigra bekannt ist. Diese Zellen produzieren Dopamin, einen Neurotransmitter, der für die Steuerung von Bewegungen wichtig ist. Ein Dopaminmangel führt zu den typischen Bewegungsstörungen bei Parkinson.
Symptome
Die Symptome der Parkinson-Krankheit können von Person zu Person variieren, umfassen jedoch häufig:
- Tremor: Zittern, insbesondere der Hände, Arme, Beine oder des Kopfes.
- Rigor: Muskelsteifheit, die zu eingeschränkter Beweglichkeit führt.
- Bradykinesie: Verlangsamung der Bewegungen und Schwierigkeiten, Bewegungen zu starten.
- Posturale Instabilität: Gleichgewichtsstörungen und eine Neigung zu Stürzen.
- Neben diesen Hauptsymptomen können auch andere Beschwerden auftreten, wie z.B.: Sprachprobleme, Schlafstörungen, Stimmungsveränderungen wie Depression und Angst, Autonome Funktionsstörungen, wie Probleme mit dem Blutdruck oder der Verdauung
Diagnose
Die Diagnose von Parkinson basiert hauptsächlich auf der klinischen Untersuchung und der Krankengeschichte des Patienten. Bildgebende Verfahren wie MRT oder SPECT können unterstützend eingesetzt werden, um andere Erkrankungen auszuschließen.
Behandlung
Parkinson ist derzeit nicht heilbar, aber die Symptome können durch verschiedene Behandlungen gelindert werden. Zu den häufigsten Behandlungsansätzen gehören:
- Medikamentöse Therapie: L-Dopa (Levodopa) ist das am häufigsten verwendete Medikament, das im Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird. Andere Medikamente umfassen Dopaminagonisten und MAO-B-Hemmer.
- Physiotherapie: Hilft, die Beweglichkeit und das Gleichgewicht zu verbessern.
- Ergotherapie: Unterstützt bei alltäglichen Aktivitäten und fördert die Selbstständigkeit.
- Logopädie: Kann bei Sprach- und Schluckstörungen hilfreich sein.
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Ein chirurgischer Eingriff, bei dem Elektroden im Gehirn implantiert werden, um bestimmte Bereiche zu stimulieren und die Symptome zu lindern.
Leben mit Parkinson
Die Parkinson-Krankheit kann eine erhebliche Belastung für die Betroffenen und ihre Familien darstellen. Eine umfassende Betreuung und Unterstützung sind wichtig, um die Lebensqualität zu erhalten. Dies umfasst medizinische Versorgung, Therapieangebote und psychosoziale Unterstützung. Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen können ebenfalls wertvolle Ressourcen bieten. Trotz der Herausforderungen können viele Menschen mit Parkinson ein erfülltes Leben führen, insbesondere wenn die Krankheit frühzeitig erkannt und behandelt wird. Die Forschung arbeitet kontinuierlich an neuen Ansätzen zur Behandlung und letztlich zur Heilung der Krankheit.