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Der Entourage-Effekt – das therapeutische Zusammenspiel der Cannabis-Inhaltsstoffe

Informiert man sich über die medizinische Anwendung von Cannabis, kommt man früher oder später mit dem Begriff «Entourage-Effekt» in Kontakt. Was ist das? Wir haben für Sie interessante Forschungsergebnisse zusammengestellt. Pflanzliche Arzneimittel lindern oft mehrere Symptome und dämpfen gleichzeitig unangenehme Nebenwirkungen. Lesen Sie mehr über die verschiedenen Cannabis-Pflanzenstoffe und ihre Synergien.
Cannabis und ihr Wirkungsmechanismus – eine komplexe Pflanze

Sie enthält über 400 Moleküle und Verbindungen – Cannabinoide, Terpene, Flavonoide und andere sekundäre Pflanzenstoffe. Verschiedene Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Chemikalien grosses medizinisches Potenzial haben und auf das Gehirn und den Körper unterschiedlich wirken. Sie interagieren synergetisch und erzeugen und verstärken so den therapeutischen Gesamtnutzen.

Die Wirkungen all dieser Inhaltsstoffe und ihr Zusammenspiel nennt man Entourage-Effekt. Jede Cannabissorte hat ein individuelles Pflanzenstoffprofil. Dadurch wirken einige Sorten fokussierend und anregend, andere hingegen beruhigend und entspannend.

Man kann sich den Entourage-Effekt und die Moleküle, die daran beteiligt sind, wie eine Schauspielerbesetzung in einer Theaterproduktion vorstellen. THC und CBD sind die Hauptdarsteller. Die anderen Cannabinoide und die Terpene spielen die Nebenrollen. Es braucht aber auch Leute im Hintergrund wie Kostümbildner, Licht und Ton oder Visagisten. Diese Aufgabe übernehmen die Flavonoide und die restlichen Pflanzenstoffe. Nur wenn alle Mitwirkenden zusammen arbeiten, wird das Theaterstück ein Erfolg.

Entourage-Effekt – viele Forschungsnachweise

Schon eine 1981 durchgeführte Forschungsstudie an der Universität in London lieferte Hinweise für den Entourage-Effekt. Mithilfe eines Tests konnten die Forscher J. W. Fairbairn und Joan T. Pickens nachweisen, dass Vollextrakte aus der Cannabispflanze 330 % mehr Aktivität auslösen als THC alleine. Sie stellten die Hypothese auf, dass Cannabis «Synergisten» und «Inhibitoren» enthalten, die dazu dienen, die therapeutischen Wirkungen zu verstärken und potenziell negative psychoaktive Reaktionen zu hemmen.

Diese Vermutung, dass die in Cannabis enthaltenen Verbindungen zusammen eine bessere Wirkung erzielen als ihre isolierten Moleküle alleine, wurde erstmals 1998 in einer wissenschaftlichen Studie der Hebräischen Universität Jerusalem bestätigt und veröffentlicht. Die weltweit führenden Cannabisforscher Shimon Ben-Shabat und Raphael Mechoulam stellten fest, dass die synergetische Beziehung zwischen diesen Verbindungen massgeblich für die therapeutische Wirkung von Cannabis verantwortlich ist. In dieser Studie untersuchten die Forscher 2-AG, eines der beiden wichtigsten im menschlichen Körper produzierten Endocannabinoide. Wenn sie den Mäusen neben zwei verwandten Cannabisverbindungen zusätzlich 2-AG verabreichten, waren die positiven Wirkungen – wie die Schmerzreduktion – stärker.

Darauf aufbauend erarbeiteten 2009 Hildebert Wagner und Gudrun Ulrich-Merzen von der Ludwig-Maximilians-University in München eine Arbeit mit dem Titel: «Synergieforschung: Annäherung an eine neue Generation von Phytopharmazeutika». Darin diskutierten und skizzierten sie die folgenden grundlegenden Mechanismen des Entourage-Effekts:

  • Verbindungen, die aus der ganzen Pflanze gewonnen werden, können mehrere Ziele im Körper beeinflussen.
  • Das Zusammenspiel aller Pflanzenstoffe verbessert die Bioverfügbarkeit, die Resorption und Löslichkeitsrate der Wirkstoffe.
  • Die Synergie der ganzen Pflanze hilft bei der Überwindung bakterieller Abwehrmechanismen.
  • Die Verbindungen der Pflanze und ihr Zusammenspiel trägt zur Minimierung nachteiliger Nebenwirkungen von Wirkstoffen bei.

Der Entourage-Effekt wurde auch in weiteren Forschungsstudien nachgewiesen. Britische Forscher konnten 2010 aufzeigen, dass ein Extrakt mit THC und CBD bei Krebskranken zu einer stärkeren Schmerzreduktion führt als THC allein. Und auch brasilianische Forscher wiesen 2018 den Entourage-Effekt nach. Sie verglichen bei der Behandlung von Epilepsie ein CBD-Vollextrakt mit einem CBD-Isolat. Das Vollextrakt war wirksamer. Zudem benötigten die Probanden geringere Dosen und sie hatten weniger Nebenwirkungen als die Testpersonen, die das Isolat einnahmen.

Die Cannabinoide THC und CBD – eine wichtige Entdeckung – aber nur die Spitze des Eisbergs

Cannabispräparate wurden schon seit Jahrtausenden von Ärztinnen und Ärzten in der Volksmedizin eingesetzt. Damals interessierte sich aber niemand für die molekulare Zusammensetzung der Pflanze. Wichtig war die Wirkung und die überzeugte unsere Vorfahren. Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich das. Die bemerkenswerten Cannabinoide – Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) – wurden entdeckt.

Die Forscher interessierten sich dadurch für die Mechanismen der Pflanze. Die Cannabisforschung begann und entdeckte viele interessante Inhaltsstoffe, den Entourage-Effekt und 1992 das Endocannabinoid-System (ECS). Dieses System ist der Grund, warum Cannabis im menschlichen Körper wirkt. Es reguliert im Wesentlichen alle grundlegenden Funktionen und Muster, die unser Körper auszuführen hat. Zum Beispiel Appetit, Erinnerung, Entzündungen, Immunfunktionen, Neuroprotektion, Schmerzen, Reproduktion, Schlaf, Stimmung, Stoffwechsel und Verdauung. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass gezielte Eingriffe in den körpereigenen Endocannabinoid-Stoffwechsel neue therapeutische Perspektiven eröffnen.

Heutzutage weiss die Wissenschaft, dass es sicher mehr als 113 Cannabinoide gibt. Es werden immer noch neue entdeckt. Man findet auch Forscher die von 144 und mehr sprechen. Zu den schon länger erforschten gehören zum Beispiel THCA und CBDA, die Säureform der Cannabinoide THC und CBD. Ihnen werden, unter anderem, entzündungshemmende Eigenschaften nachgesagt. Dann gibt es Cannabigerolsäure (CBGA) – das Ausgangsmolekül, aus dem andere Cannabinoide synthetisiert werden oder Cannabinol (CBN), ein leicht psychoaktives Cannabinoid. Es kommt im «altem» Cannabis vor und wirkt schlaffördernd. Es gibt Tetrahydrocannabivarin (THCV). Das ist ein Homolog von THC. Die Forschung zeigt, dass THCV den Appetit unterdrückt. THC wie man hingegen weiss, regt den Appetit an. Und es gibt Cannabidivarin (CBDV). Es wirkt bei Anfällen krampflösend. Dies sind ein paar Beispiele und Wirkungsspektren der Cannabinoide.

Es braucht noch intensivere Forschung, um die Mechanismen aller Cannabinoide auf den Körper zu entschlüsseln. Das ist aber vielleicht gar nicht so relevant. Der Entourage-Effekt beweist, dass vor allem die Kombination aller Pflanzenstoffe wichtig ist. Die spezifische Wirkung der einzelnen Cannabinoide ist in erster Linie für die Wissenschaft interessant, um die Pflanze besser zu verstehen. Für die Patientinnen und Patienten ist es erstrebenswert, dass ihnen viele Cannabissorten mit unterschiedlichen Pflanzenstoffeprofilen zur Verfügung gestellt werden.

In Israel wird eine Datenbank aufgebaut und auch in der USA gibt es eine Webseite, die bei der Suche hilft, welche Cannabissorten für die eigene Krankheit geeignet sind. Das ist ein sinnvolle Hilfe für die kranken Menschen und die Mediziner, die es ihnen verschreiben. Auch den Forschern könnten diese Patientenerfahrungen interessante Ansätze für weitere Experimente liefern und die Cannabisforschung weiterbringen. Die Wissenschaft wird noch Jahrzehnte brauchen, um die komplexe Pflanze mit all ihren Inhaltsstoffen wirklich zu verstehen, wenn Sie sich jedem einzelnen Molekül widmet.

Die Terpene – wichtige Assistenten

Rund 140 der chemischen Bestandteile im Cannabis gehören zur Gruppe der organischen Kohlenwasserstoffe – den sogenannten Terpenen. Sie sind nanopartikelgrosse, aromatische Moleküle und definieren die Duftnote der Cannabispflanze. Sie kommen aber auch in anderen aromatischen Pflanzen sowie auch in Obst und Gemüse vor. Limonen beispielsweise findet man in Zitrusfrüchten. Pinen ist für den intensiven Duft der Kiefern verantwortlich. Linalool kommt im Lavendel vor und Beta-Caryophyllen ist auch in schwarzem Pfeffer enthalten.

Die Natur verwendet die Terpene als Abwehrmittel gegen Insekten. Beim Menschen hingegen hat man interessante medizinische Wirkungsmechanismen entdeckt. Bei Konzentrationen von 0,05 % gelten Terpene als «von pharmakologischem Interesse» und interagieren mit Zellmembranen, neuronalen und muskulären Ionenkanälen, Neurotransmitter-Rezeptoren, G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und Enzymen.

Studien haben gezeigt, dass Limonen zum Beispiel eine angstlösende Wirkung hat. Pinen kann als Antibiotikum eingesetzt werden. Linalool ist ein Anästhetikum und Antikonvulsivum. Beta-Caryophyllen wirkt stark entzündungshemmend und dann gibt es noch das entspannende Myrcen, um einige zu nennen.

Interessante Synergien – die Phytocannabinoid-Terpenoid-Wechselwirkungen

Der Cannabisforscher und Neurologe Ethan Russo – heute Direktor für Forschung und Entwicklung am International Cannabis and Cannabinoids Institute – publizierte 2011 einen Artikel im British Journal of Pharmacology. Der Titel lautete: «Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects». Was auf Deutsch soviel heisst wie: «THC zähmen: mögliche Cannabis-Synergie und Phytocannabinoid-Terpenoid-Entourage-Effekte». In seiner Forschungsreihe untersuchte er, wie der Cannabis-Entourage-Effekt auf Säugetiere wirkt.

Russo fand in seinen Versuchen heraus, dass die Terpene eine breite Palette an medizinischen Wirkungen entfalten. Er entdeckte aber auch, dass sie verändern können wie Cannabinoide mit ihren jeweiligen Rezeptoren interagieren. Dadurch beeinflussen und ändern sie deren Wirkung. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Terpen Myrcen. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und erleichtert dadurch auch den Cannabinoiden das Eindringen ins Gehirn. So wirken sie effektiver.

In seiner Arbeit legte Russo ein besonderes Augenmerk auf diese Phytocannabinoid-Terpenoid-Wechselwirkungen. Seiner Meinung nach könnten diese Synergien interessante Ansätze für die Behandlung von Schmerzen, Entzündungen, Depressionen, Angstzuständen, Suchterkrankungen, Epilepsie, Krebs, Pilzerkrankungen und bakteriellen Infektionen erzeugen. Seine wissenschaftliche Arbeit zeigte, dass nicht-cannabinoide Pflanzenbestandteile ein mögliches Gegenmittel zur berauschenden Wirkungen von THC sind. Zudem können sie den therapeutischen Nutzen erhöhen.

Er empfahl auch in zukünftigen Experimenten den Entourage-Effekt weiter zu untersuchen und dadurch die Cannabis-Arzneimittel zu verbessern. Er sah im nachgewiesenen Zusammenspiel der Phytocannabinoide und der Terpene die Möglichkeit eine umfangreiche Palette mit neuen therapeutischen Produkten aus dieser ehrwürdigen Heilpflanze herzustellen.

Interessante Bestandteile – die vielversprechenden Flavonoide

Eine weitere chemische Komponente, die im Cannabis zu finden ist und beim Entourage-Effekt mitwirkt, sind die Flavonoide. Diese Untergruppe nennt man Cannflavine. Sie wurden 1986 von Marilyn Barrett an der University of London entdeckt. Die Wissenschaftlerin fand zwei spezifische Cannabis-Flavonoide – Cannflavin A und Cannflavin B. 2008 identifizierte man dann auch noch Cannflavin C. Das sind chemisch gesehen Prenylflavonoide und nicht mit THC und anderen Cannabinoiden verwandt. Zudem wurden noch etwa 20 weitere Flavonoide gefunden wie zum Beispiel Luteolin, Kaempferol und Quercetin. Alle enthaltenen Flavonoide können den Geschmack, die Farbe und den Duft der Cannabisblüten beeinflussen und sie haben auch einen Einfluss auf die Wirkung, die die verschiedenen Cannabissorten auf den Menschen haben.

Einer der grössten therapeutischen Vorteile von Cannflavinen sind ihre ausgezeichneten, entzündungshemmenden Eigenschaften. Cannflavin A und Cannflavin B – das zeigt die aktuelle Forschung – ist 30-mal entzündungshemmender als Aspirin. Forscher der Universität von Guelph in Kanada haben diese Entdeckung im Juli 2019 veröffentlicht. Das eröffnet die Möglichkeit auf eine natürliche Schmerzbehandlung ohne die Gefahr einer Abhängigkeit wie zum Beispiel bei Opiaten. Cannflavine zielen auf Schmerzen mit einem anderen Ansatz ab, nämlich indem sie Entzündungen reduzieren. Das Problem mit diesen Molekülen ist, dass sie in sehr geringen Mengen in Cannabis vorhanden sind und noch nicht im grossen Stil produziert werden können.

Es gibt auch Hinweise das Flavonoide bei der Behandlung von Krebs helfen könnten. Eine Arbeit die im Dezember 2018 veröffentlicht wurde zeigt auf, dass sie die Apotose – den Tod von Krebszellen – begünstigen. Zudem fand eine Studie 2019 heraus, dass Cannabis-Flavonoid-Derivate vielversprechende Resultate bei der Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs liefern.

Flavonoide können aber auch hilfreich sein, um die Haut vor der Sonne, Pigmentstörungen und der Hautalterung zu schützen. Zukünftig hofft man, sie erfolgreich bei Hauterkrankungen einzusetzen. Zu diesem Schluss kommt eine Forschungsarbeit, die im Februar 2018 veröffentlicht wurde. Flavonoide werden auf sehr effiziente Weise über die Haut aufgenommen. Dadurch eignen sie sich für die topische Anwendung. All diese interessanten therapeutischen Eigenschaften steuern die Flavonoide dem Entourage-Effekt bei.

Fazit – Extrakte vs. Isolate – die Natur gewinnt

2018 machten die Spanierin Cristina Sanchez und ihr Forschungsteam einige interessante Entdeckungen. Sie untersuchten und verglichen die Wirkung von isoliertem THC mit der eines pflanzlichen Cannabisextrakts. Sie fanden heraus, dass das Extrakt eine überlegene anti-tumorale Wirkung erzeugte. Die Resultate waren bei allen drei untersuchten Brustkrebsarten besser als beim Isolat. Um herauszufinden, ob die Terpene verantwortlich sind, fügten sie dem isolierten THC einen «Terpenen-Cocktail» bei. Dieser war beim pflanzlichen Extrakt identisch. Interessanterweise veränderte sich die anti-tumorale Aktivität nicht. So entstand die Hypothese, dass die Änderungen der Wirkung auf niedrige Konzentrationen von CBG und THCA zurückzuführen sein könnten. Dazu benötigt es noch weitere Studien.

Noch eine Bestätigung für die Vorteile von pflanzlichen Extrakten erbrachte einen Meta-Analyse, die isoliertes CBD und Vollextrakt-CBD bei der Behandlung von Epilepsie verglich. Die Analyse ergab, dass das Vollextrakt-CBD nicht nur doppelt so wirksam ist, sondern dass niedrigere Dosierungen erforderlich sind, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen.

Die Forschungsergebnissen der letzten Jahre lassen die Schlussfolgerung zu, dass ein pflanzliches Cannabisextrakt einem Isolat oder einem zusammengesetzten Cannabis-Fertigarzneimittel klar überlegen ist. Hört man auf die Erfahrungen der Patientinnen und Patienten, sagen auch diese, dass sie mit Cannabisprodukten die alle Pflanzenstoffe enthalten, eine bessere Wirkung erzielen.

Wenn auch Sie die gesundheitlichen Vorteile der Cannabispflanze nutzen möchten – greifen Sie auf pflanzliche Vollspektrum-Extrakte zurück oder nutzen Sie die Cannabisblüten.