Pitch-Night Tsüri: Perspektiven der Gesundheit
Bis zu meinem 34. Lebensjahr habe ich mir keine Gedanken über meine Gesundheit gemacht. Ich war kerngesund und stand mitten im Leben. Ich arbeitete in einer Werbeagentur, hatte eine Beziehung und ein geselliges Leben. Mir standen alle Möglichkeiten offen. In meiner Freizeit war ich abenteuerlustig. Ich bin gern in der Welt rumgereist und habe alles ausprobiert, was Spass macht. Bis am 17. Mai 2009. An diesem Tag habe ich die Lage falsch eingeschätzt und einen Fehler gemacht. Beim Start mit meinen Gleitschirm bin ich gestolpert und mit voller Wucht mit dem Kopf in die Wiese geknallt. Ich war auf der Stelle komplett gelähmt.
Viele Menschen denken, wenn sie mich sehen, so möchte ich lieber nicht mehr leben. Vom Hals abwärts gelähmt, dass ist eine Horrorvorstellung. Damals auch für mich. In der Schweiz kann man aber nicht einfach so sterben. Unser Rettungs- und Gesundheitssystem hat mir vorbildlich das Leben gerettet. Die Ärztinnen und Ärzte, die meine zerstörte Halswirbelsäule geflickt haben, verstanden etwas von ihr Fach! Zwei Wochen lang kämpften die Pflegerinnen und Pfleger auf der Intensivstation um mein Leben.
Als ich aus dem künstlichen Koma aufwachte, war mein «altes Leben» vorbei. Sterben konnte ich aber nicht mehr. Mein Körper war wieder stabilisiert. Ich hätte meinen Tod aktiv selber in die Hand nehmen müssen. Das ist schwierig, wenn man gelähmt im Bett liegt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die Wahl hat.
Wenn du überlebst, dann lebst du. Die Welt bricht zusammen und der Kampf zurück ins Leben ist unglaublich hart. Eineinhalb Jahre war ich im Spital. Alles ist anstrengend. Man trainiert wie ein Spitzensportler, auch wenn es nur kleinste Bewegungen sind. Man ist dauernd zu Tode erschöpft. Und mental mit dieser Einschränkung fertig zu werden, ist unendlich schwer! Dafür reichen diese 7 Minuten nicht.
Und dann kommen die Schmerzen und die spastischen Krämpfe. Gelähmt zu sein, war von einem Tag auf den anderen plötzlich mein kleinstes Problem. Mein ganzer Körper brennt jeden Tag wie Feuer. Am schlimmsten sind meine Hände. Und wenn man mich berührt, wird mein Körper von spastischen Krämpfen verdreht. Die Kombination mit den neuropathischen Schmerzen ist die Hölle. Ich habe permanente Schmerzen auf einem Level, die sich ein gesunder Mensch nicht vorstellen kann. Die pharmazeutischen Medikamente halfen nicht. Sie machten alles nur noch schlimmer. Ich konnte nichts mehr essen. Ich musste dauernd erbrechen und wurde immer dünner. Ich landete mehrmals mit lebensbedrohlichen Zusatzerkrankungen im Spital. Ich wusste, ich muss etwas ändern, sonst sterbe ich an diesem Medikamentencocktail.
Ich habe mich fürs Leben entschieden. Ich habe nie aufgegeben und immer versucht, eine Lösung zu finden. Und diese Lösung hatte ich eigentlich schon sehr früh. Cannabis. Das Schmerzmittel meiner Wahl. Im Spital haben viel Querschnittsgelähmte gekifft. Das habe ich draussen vor dem Spital sofort gesehen. Das hat mich nicht abgeschreckt. Ich habe Cannabis früher schon für den Freizeitkonsum verwendet. Also habe ich es probiert und es hat sofort gewirkt. Das habe ich allen Ärztinnen und Ärzten gesagt, nur hat es niemanden interessiert.
In der Schweiz ist Cannabis verboten. Für die medizinische Anwendung gibt es einige wenige legale Möglichkeiten. Diese sind für mich aber zu teuer und helfen mir nicht. Ich wollte unbedingt den legalen Weg einschlagen. Das was ich brauche, gibt es aber nicht.
Also habe ich mich für den rebellischen Weg entschieden und helfe mir selber. Wie ich das mache, kann ich natürlich nicht sagen. Ich mache aber nichts Böses. Für mich mache ich das einzig Richtige. Durch Cannabis konnte ich fast alle Medikamente absetzen. Ich habe meinen Körper mit Vitaminen und Spurenelementen wieder aufgepäppelt. Jetzt lindere ich meine Schmerzen und die spastischen Krämpfe fast ausschliesslich mit Cannabis in hohen Dosen. Mein Leben ist wieder lebenswert. Einen Tag ohne Cannabis würde ich aber nicht aushalten. Darum halte ich mich nicht ans Gesetz.
Es gibt 100'000 Cannabis-Patientinnen und Patienten in der Schweiz. Das schätzt das Bundesamt für Gesundheit. Ich bin nicht alleine. Wir sind viele. Und wir sind nicht mehr bereit, uns zu verstecken und ruhig zu sein. Es darf nicht sein, dass kranke Menschen kriminell werden müssen, um ihre Schmerzen zu lindern. Als Präsidentin des Medical Cannabis Vereins Schweiz kämpfe ich dafür, dass sich endlich etwas ändert. Wir wissen genau, was wir tun! Deswegen fordern wir vom Parlament, dass der medizinischen Eigenanbau erlaubt wird – am liebsten gemeinschaftlich mit anderen Patientinnen und Patienten.
Cannabis ist kein Wunderheilmittel. Trotz Cannabis habe ich Schmerzen und Spastik. Diese sind aber gedämpft und ich ertrage sie besser. Cannabis macht es mir möglich, dass ich trotz Schmerzen leben will. Das geht vielen anderen Patientinnen und Patienten auch so. Für uns ist die Selbsttherapie mit Cannabis der einzige Ausweg, um unsere Leiden zu lindern und die Lebensqualität zu erhalten. Cannabis kann als Langzeitmedikament eingenommen werden, ohne dass es den Körper vergiftet oder die Organe schädigt. Das ist für viele chronische Kranke ein Segen.
Cannabis wäre auch eine Chance den explodierenden Kosten im Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Die Politik wählt aber den streng pharmazeutischen Weg. So besteht die Gefahr, dass aus dieser Heilpflanze ein unbezahlbares Medikament gemacht wird. Davor habe ich Angst!
Findet auch ihr, dass uns sofort möglich sein soll, Cannabis als Medikament zu verwenden, dann unterstützt mich und den Verein. Wir werden nicht aufhören für unser Recht zu kämpfen. Jeder sollte selber entscheiden wie er sich therapieren will. Es ist seine Gesundheit! Möchtet ihr mehr Infos, besucht unsere Webseite oder kommt an unsere Patiententreffs.