Eine Situationsanalyse aus der Sicht der Schweizer Cannabis-Patientinnen und Patienten
Da sich die Einstellung gegenüber Cannabis weltweit ändert, haben heute viele das Gefühl, es sei kein Problem mehr, Cannabis medizinisch anzuwenden. Das ist aber in der Schweiz nicht so. Die Voraussetzungen, um auf legale Weise das seit Jahrtausenden bewährte Heilmittel zu bekommen, sind immer noch kompliziert und die legal erhältlichen Produkte sind schwach dosiert und sehr teuer. Die heutige gesetzliche Regulierung macht es eigentlich unmöglich, sich bei schweren Erkrankungen oder Leiden richtig mit Cannabis zu therapieren. Die entstehenden Kosten sind bei hohen Dosierungen enorm. Genau für schwerkranken Menschen wurde diese Sonderbewilligung vom Bundesamt für Gesundheit aber damals geschaffen.
Nun wird eine neue Regulierung für die medizinische Abgabe vorgestellt. An dieser Stelle sei gesagt, dass die Patientinnen und Patienten in erster Linie einfach nur froh sind, dass sich überhaupt etwas ändert. Sie befinden sich seit Jahrzehnten in einer unmöglichen Situation und haben nun endlich Legitimität verdient.
Verschiedene Interessengruppen wie die Apothekerinnen und Apotheker, die Schweizer Bäuerinnen und Bauern, die CBD-Produzentinnen und Produzenten bringen sich in Stellung und möchten mit Medizinal-Cannabis ihr Geld verdienen. Auch grosse internationale Firmen und die Pharmaindustrie wollen in diesem neuen Markt mitmischen. Weltweit entsteht ein neuer Milliarden-Markt.
Das Bundesamt für Gesundheit schätzt das bis zu 100'000 Schweizer Patientinnen und Patienten trotz Verbot Cannabis medizinisch einsetzen. Das Interesse an unserem Verein zeigt, dass noch eine viel grössere Zielgruppe existiert. Diese Entwicklung sieht man auch in Deutschland. Das Interesse für Medizinal-Cannabis ist um einiges grösser als erwartet. Umso trauriger zu sehen, dass die Schweiz durch ihre langsamen Politikstrukturen international den Anschluss verliert.
Wer sind diese geschätzten 100'000 Cannabis-Patientinnen und Patienten?
Diese Menschen kommen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten. Sie haben oft eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Viele haben schwerwiegende Diagnosen oder starke Schmerzen. Nebst der physischen und psychischen Bewältigung der teils komplexen Krankheitsbilder der Betroffenen stellt sie die Beschaffung und die Finanzierung der Cannabis-Medikamente vor eine weitere Herausforderung. Es gibt aber auch solche, die ihre Migräne, ihre Alters- oder Menstruationsbeschwerden oder andere Leiden lindern und Cannabis wie andere pflanzliche Arzneimittel einsetzen.
Cannabis ist für diese Patientinnen und Patienten das Medikament ihrer Wahl. Sie haben ihre Therapie bewusst umgestellt oder kombinieren sie mit schulmedizinischen Methoden und Medikamenten. Sie sind überzeugt von der Wirkung und erachten die Nebenwirkungen als schwächer und angenehmer, als dies bei vielen Medikamenten der Fall ist. Viele therapieren sich seit Jahren selber, haben ein grosses Know-how über die Anwendung und die Produktion ihres Medikaments und besitzen in einigen Fällen ein fundiertes Fachwissen.
In den letzten Jahren haben sich weltweit Patientinnen und Patienten über die sozialen Medien vernetzt und tauschen ihre Erfahrungen aus. In der Schweiz gibt es Patiententreffs in verschiedenen Städten.
Was brauchen Cannabis-Patientinnen und Patienten?
Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen bezahlbare und kontrollierte Medikamente, mehr Verständnis und Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte, kompetente Beratung in der Anwendung und die Legitimität, Cannabis medizinisch anzuwenden.
Was die Cannabis-Patientinnen und Patienten von einer neuen medizinischen Regulierung befürchten
Im Moment wird Cannabis in vielen Ländern für die medizinische Anwendung freigegeben. Oft werden diese Cannabis-Medikamente in Apotheken verkauft. Durch das Handling vom Produzenten zum Pharmazeuten werden die Preise im Vergleich zum Schwarzmarkt erhöht. Werden die Kosten von den Krankenkassen nicht bezahlt, können sich die Patientinnen und Patienten die Medikamente trotz Rezept vom Arzt nicht leisten.
Zudem ist die Qualität der Cannabisblüten zum Beispiel in Deutschland zum Teil miserabel. Der Deutsche Hanfverband kritisiert auch, dass seit der Legalisierung von Cannabis als Medizin Lieferengpässe bei Cannabisblüten die Regel sind. Die Nachfrage wurde völlig falsch eingeschätzt und es sind lediglich 3 bis 6 von 32 zugelassenen Sorten verfügbar. Diese Lieferengpässe sind mit erheblichen Nachteilen für die Patientinnen und Patienten verbunden. Das Beispiel Deutschland zeigt wie schwierig es ist, eine funktionierende medizinische Abgabe einzuführen und wie wichtig es ist, nicht von Produzenten aus anderen Ländern abhängig zu sein.
Die Schweiz hat gerade durch den vor einigen Jahren entstandenen CBD-Boom ein grosses Wissen über den Anbau und eine bereits funktionierende Infrastruktur für die Produktion. Diesen Vorteil sollte man nicht aus den Händen geben. Die CBD-Produzentinnen und Produzenten könnten von heute auf morgen auf Medizinal-Cannabis umsteigen.
Die Patientinnen und Patienten schauen mit gemischten Gefühlen den Lösungsvorschlägen des BAG entgegen. Es ist zu befürchten, dass wie in anderen Ländern vor allem die Pharmazeuten und die grossen, internationalen Cannabis-Firmen zum Zug kommen. Cannabis wird so zu einem teuren Medikament gemacht. Es gibt aber auch Länder mit anderen Lösungsansätzen wie zum Beispiel Spanien oder Belgien. Dort haben die Patientinnen und Patienten die Möglichkeit eine gewisse Anzahl Pflanzen selber anzupflanzen oder sich in Medical Cannabis Social Clubs (MCSC) zu organisieren. Mit den geschätzten 100'000 Patientinnen und Patienten, die zum Teil über ein fundiertes Wissen verfügen und seit Jahren vernetzen sind, wäre das für die Schweiz ein sinnvoller Weg.
Was die Cannabis-Patientinnen und Patienten bis zu einer neuen medizinischen Regulierung brauchen
Die betroffenen Patientinnen und Patienten brauchen sofort einen unbürokratischen Zugang zu Medizinal-Cannabis, bis eine neue medizinische Regulierung in Kraft tritt. Die aktuelle Regulierung ist nicht praktikabel. Nur ein paar wenige tausend haben eine BAG-Bewilligung. Alle anderen therapieren sich illegal und machen sich strafbar. MEDCAN fordert Straffreiheit für alle Schweizer Patientinnen und Patienten.
Laut BAG wird eine neue Regulierung für die medizinische Abgabe von Cannabis im Juni 2019 in die Vernehmlassung gehen. Es wird sicher noch mehr als zwei Jahr dauern, bis sich etwas an der Situation der Patientinnen und Patienten ändern wird. Die Betroffenen warten nun schon lange und können fast schon täglich zuschauen, wie sich die Situation auf der ganzen Welt verändert. Sie brauchen eine praktikable Übergangslösung. Die Patientinnen und Patienten werden sonst gezwungen sich selber zu helfen.
Eigenanbau und Erlaubnis für die Gründung von Medical Cannabis Social Clubs
Bis eine neue medizinische Abgaberegulierung realisiert ist und die Kosten von den Krankenkassen bezahlt werden, muss es Betroffenen ermöglicht werden, ihr Medikament so billig wie möglich herzustellen. Die mit einer Bewilligung erhältlichen Cannabisprodukte aus der Apotheke sind viel zu teuer und können Patientinnen und Patienten an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten bringen. Die einzige Möglichkeit für die Betroffenen zahlbare und saubere Cannabis-Medikamenten zu bekommen, ist der Eigenanbau.
Als konkretes Modell schlagen die Patientinnen und Patienten Medical Cannabis Social Clubs (MCSC) vor.
- Mitglied werden kann jede Schweizer Patientin und jeder Schweizer Patient, dem Cannabis ärztlich verschrieben wird
- Anbau, Ernte und Weiterverarbeitung des Cannabis zu Medikamenten erfolgt durch den Verein.
- Die Abgabe des Cannabis erfolgt ausschliesslich an Mitglieder
- Jedes Mitglied erhält die medizinisch indizierte Eigenbedarfsmenge
- Handel mit Cannabis oder Abgabe an Dritte, insbesondere Minderjährige, ist illegal und führt zum Ausschluss
MEDCAN befürwortet und unterstützt eine wissenschaftliche Begleitung dieser Vereine, um Erfahrungen für die medizinische Anwendung zu sammeln.
Lösungsvorschläge der Patientinnen und Patienten für den Umgang mit Medizinal-Cannabis
Wie man in Deutschland sehen kann, ist die Nachfrage für die medizinische Anwendung von Cannabis gross. Diese Nachfrage wird in den kommenden Jahren zunehmen. Die Schweiz sollte sich nicht nur auf eine Vertriebsmöglichkeit beschränken. Die Ärztinnen und Ärzte werden mit ganz verschiedenen Patientengruppen konfrontiert werden. Die einen wissen schon genau, was sie tun und andere brauchen mehr Beratung.
Zum ein können wir uns wie in Kalifornien spezialisierte Cannabis-Apotheken (Dispensaries) analog den heutigen CBD-Shops vorstellen, in denen man mit einem Rezept vom Arzt und dem Vorweisen eines Ausweises sein Medikament beziehen kann. Setzt aber voraus, dass die Verkäufer über die medizinische Anwendung von Cannabis aufklären dürfen. Dies könnte natürlich auch von Apotheken gemacht werden. Hier besteht aber die berechtigte Gefahr, das wie in Deutschland die Kosten teurer werden. In beiden Fällen ist zwingend eine Ausbildung des Verkaufspersonals notwendig.
Da viel Erfahrung in der medizinischen Anwendung bei den Patientinnen und Patienten selber zu finden ist, ist unser bevorzugter Lösungsweg die Erlaubnis zum Eigenanbau und zur Gründung von Medical Cannabis Social Clubs. Die Betroffenen können sich in Vereinen organisieren und ihre Medikamente selber anpflanzen und herstellen. Das wäre vor allem für die Personen gedacht, die sich schon seit Jahren selber therapieren. Ihre Erfahrungen sollte man wissenschaftlich dokumentieren und von ihnen lernen. Dieses Wissen nicht zu nutzen, wäre ein grosser Fehler. Da bei vielen Krankheiten nur Erfahrungsberichte und keine Studien existieren, ist das der schnellste Weg, die medizinische Wirkung von Cannabis besser zu verstehen.
Eine wichtig Voraussetzung für die Patientinnen und Patienten ist, dass Cannabisblüten standardmässig im Labor auf ihre Inhaltsstoffe untersucht werden. Sie unterstützen die Idee eines Cannabis-Labels, damit gewährleistet wird, dass der Rohstoff für die Medikamente nicht mit Pestiziden oder Schwermetallen verunreinigt ist. Für kranke Menschen ist das besonders fatal.
Adequate Cannabis-Medikamente
In Ländern wie zum Beispiel den USA, Kanada, Spanien oder Israel werden heute Patientinnen und Patienten mit Medizinal-Cannabis behandelt. Sie haben verschiedene Möglichkeiten für die Einnahme. Das ist für den Anwender wichtig, da die Einnahmeform auch einen Einfluss auf die Wirkung hat. Die Schweizer Patientinnen und Patienten brauchen Cannabis-Vollextrakte und Cannabis-Blüten von verschiedenen Cannabissorten, die je nach Cannabinoid-Zusammensetzung eine andere Wirkung erzielen. Auf dem Medikament muss ersichtlich sein, was für eine Cannabis-Sorte es ist und welches THC/CBD-Verhältnis die Pflanze aufweist. Zudem muss das Medikament auf Pestizide, Pilzsporen und Schwermetalle getestet werden.
Bezahlbare Cannabis-Medikamente
Die Cannabis-Medikamente, die man heutzutage mit einer BAG-Bewilligung legal in der Schweiz erhält, sind teuer. Die Preise entsprechen einem mehrfachen des Schwarzmarkts. Diese horrenden Preise sind nicht nachvollziehbar. Patientinnen und Patienten brauchen bezahlbare Medikamente, die den Preisen in anderen Ländern entsprechen. Die Kosten der Medikamente dürfen die Schwarzmarktpreise nicht übersteigen. Das würde nur bewirken, dass sich weiterhin viele illegal eindecken müssen, da sie die Kosten nicht bezahlen können. Zudem muss genau geregelt werden, wann die Krankenkassen für die Medikamente aufkommen müssen.
Aus- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte
Cannabis kann nur medizinisch eingesetzt werden, wenn es von einer Ärztin oder einem Arzt verschrieben wird. Im Medizinstudium wird aber bis heute nichts über das Endocannabinoid-System und die medizinische Anwendung von Cannabis gelehrt. Dieses Wissen ist aber zwingend notwendig, um richtig beraten und behandeln zu können. Deswegen ist es auch immer noch schwierig, eine medizinische Fachperson zu finden, die Patientinnen und Patienten unterstützt, wenn sie sich mit Cannabis therapieren möchten. Unsere Erfahrung zeigt, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte wissen, dass Cannabis bei vielen Indikationen helfen kann. Leider haben diese jedoch meist weder Fachwissen noch praktische Erfahrung in der medizinischen Anwendung vorzuweisen und begegnen den Patientinnen und Patienten folglich oft mit einer ablehnenden Haltung. Ohne ärztliche Unterstützung haben die Betroffenen aber keine Möglichkeit ihr bevorzugtes Medikament auszuprobieren. Die am häufigsten gestellte Frage an den Verein ist, wo man eine Ärztin oder einen Arzt findet für die Verschreibung.
Kompetente Beratung beim Verkauf
Wichtig ist auch, dass das zukünftige beratende Verkaufspersonal gut ausgebildet ist und kompetent informieren und beraten kann. Gerade bei der medizinischen Anwendung spielt die Cannabis-Sorte eine wichtige Rolle. Auch die Dosierung des Medikamentes kann von Patientin zu Patient stark variieren und braucht etwas Geduld bei der Einstellung. Für schwere Leiden braucht es teilweise hohe Dosen und eine Angewöhnungsphase. Die Beratung bei der Einnahme von Medizinal-Cannabis braucht einige Erfahrungen. Diese Erfahrung weisen im Moment vor allem andere Betroffene mit gleichen Diagnosen auf. Sie tauschen sich in Patientengruppen aus.
Cannabis ist nicht nur ein Medikament für schwerwiegende Erkrankungen:
Cannabis wird heute nur bei schweren Krankheiten wie zum Beispiel MS, Querschnittlähmungen, Krebs oder bei schwierigen Schmerzthematiken eingesetzt. Oft müssen die Patientinnen und Patienten belegen, dass sie alle anderen pharmazeutischen Mittel ausgeschöpft haben. Gerade bei Cannabis als Schmerzmittel zeigt sich aber, dass viele Beschwerden schon vor dem Einsatz von abhängig machenden Opiaten oder anderen Medikamenten gelindert werden können. Cannabinoide sind auf lange Sicht nicht schädlich für die inneren Organe und man weiss heute, dass sie für ein breites therapeutisches Wirkungsspektrum eingesetzt werden können. Trotzdem wird oft damit argumentiert, dass es keine Studien gibt, die die Wirkung belegen. Bei vielen Erkrankungen gibt es nur Erfahrungsberichte anderer Betroffener. Der im deutschsprachigen Raum bekannte Cannabis-Arzt Dr. Franjo Grotenhermen sagt, seine Patienten behandeln 50 verschiedene Erkrankungen mit Cannabis. Dass es bei vielen Beschwerden keine Studien gibt, bedeutet nicht, dass Cannabis diese Symptome nicht lindert. Cannabis ist kein Wunderheilmittel und hilft nicht allen. Wenn Cannabis-Medikamente aber wirksam sind, können sie die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern. Unsere Erfahrung als Patientenvereinigung zeigt, dass gerade die Anzahl älterer Patientinnen und Patienten, die keine herkömmlichen Medikamente einnehmen möchten und ihre Altersbeschwerden mit Cannabis behandeln, stetig zunimmt. Diese Patientengruppe, vor allem ältere Frauen, würde zum Teil bevorzugen, wenn es ihnen erlaubt würde, ihren Cannabis-Tee im Garten anzupflanzen.