Natalie
«Es treibt mich zur Weissglut, dass mir die helfende Cannabis-Therapie willentlich verwehrt wird.»
Natalie kümmert sich gerne um andere. Um ihren Mann, ihre Hunde, oder um die Gleisarbeiter, als sie noch als Gesundheitsexpertin bei der SBB arbeitete.
Doch ihre eigene Gesundheit bereitet der 55-jährigen Kummer: Der Rücken schmerzt, die Gelenke sind steif, der Gehörverlust nimmt stetig zu und Natalie wird immer wieder von Lähmungserscheinungen in den Beinen überrascht. Die Liste der Symptome geht noch weiter. Soweit, dass sie ihr den Job kostet.
Was ist der Grund für Natalies Leiden? Die medizinischen Abklärungen ziehen sich in die Länge und mutieren zu einer zehn Jahre langen Odyssee durch Arztpraxen, OP-Säle, MRI-Röhren und Spezial-Abteilungen. Jeder Winkel ihres Körpers wird durchforscht. Zuerst wird die Diagnose Fibromyalgie gestellt, dann Endometriose. Und endlich, im November 2021, erhält sie die wohl zutreffendste Diagnose: Systemischer Lupus Erythematodes.
Diese Krankheit ist wie ein wandelnder Geist, der im ganzen Körper Schaden anrichtet. Genau genommen greift das Immunsystem körpereigene Zellen an, wodurch Entzündungsreaktionen ausgelöst werden.
Vielseitige Krankheit, etliche Medikamente, eine Lösung
So vielseitig sich die Autoimmunerkrankung in Natalies Körper bemerkbar macht, so zahlreich sind die Medikamente, welche ihr verschrieben werden: Tramadol, Dafalgan, Novalgin, und so weiter. Diese dämpfen zwar ihre Schmerzen, aber auch ihre Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit. Natalie fühlt sich wie in Watte gepackt. Der Medikamentencocktail verursacht bei ihr Magengeschwüre. Und die zunehmende Abhängigkeit dieser Medikamente bereitet Sorgen. Wenn sie das Tramadol einige Tage nicht einnimmt, hat sie Entzugserscheinungen wie zum Beispiel zitternde Hände.
Auf der Suche nach einer besseren Lösung experimentiert Natalie mit verschiedenen Cannabissorten. Sie findet eine Händlerin, welche ihr hochwertiges Indica-Cannabis verkauft.
An die erste Erfahrung mit dieser auserlesenen Pflanze kann sich Natalie noch ganz genau erinnern: «Ich sass mit meinem Mann auf der Couch und schaute einen Film, da realisierte ich ‘mir tut nichts weh!’. Die Erleichterung war so gross, dass ich in Tränen ausgebrochen bin.»
Auf die Dosierung kommt es an
Natalie geht es am besten, wenn sie jeweils morgens, mittags und abends eine kleine Tasse Cannabis-Tee trinkt. Das fühle sich etwa an wie ein Feierabendbier auf leeren Magen.
Bis sich die Wirkung entfaltet, dauert es bis zu vier Stunden. «Zäpfchen würden schneller wirken», weiss Natalie. Doch dafür bräuchte sie ein ärztliches Rezept. Ihre Lösung der Cannabis-Therapie ist nicht perfekt, aber gut genug, um mit den Schmerzen zu leben.
Das Indica verhilft Natalie zu angemessener Entspannung, Zufriedenheit und mehr Beweglichkeit in den Gliedern. Sie kann dadurch alle ihre synthetischen Medikamente absetzen und wird ihre Magengeschwüre los. Die passionierte Rätsellöserin gewinnt ihren Scharfsinn und ihre Aufmerksamkeit zurück. «Endlich hatte ich bei Trudy Müller-Bosshards Rätseln wieder eine Chance!»
Wenn man auf den Schwarzmarkt angewiesen ist
Während rund drei Jahren läuft alles gut bei Natalie. Bis im Januar 2021 ihr ausgeklügeltes Therapiesystem plötzlich in Stillstand gerät. Wegen der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie kann ihre Lieferantin das Cannabis nicht mehr liefern. Natalie muss abermals auf die synthetischen Medikamente zurückgreifen. Damit schleicht die Steifheit wieder in ihre Glieder und die ständige Benommenheit in ihren Kopf zurück.
Weil Natalie ohne das Cannabis nicht auf die Standhaftigkeit ihrer Beine vertrauen kann, geht sie heute am Rollator. Spaziergänge mit ihren Hunden sind damit kaum mehr möglich. Die Treppe hoch zu ihrem Mann ins Schlafzimmer schafft sie nicht mehr. Sie schläft deshalb im Wohnzimmer auf der Couch. Über Nacht verkrampft sich Natalie vor lauter Schmerzen so stark, dass sie morgens jedes einzelne Körperteil bewusst lockern muss, um aufzustehen. Die Zehen, die Handgelenke, die Hüfte ...
Der Willkür ausgesetzt
Alternatives Cannabis von anderen Lieferanten und Lieferantinnen auszuprobieren, wäre für Natalie zu riskant. Das Hanf könnte mit unbekannten Stoffen gestreckt sein, welche ihr Körper nicht verträgt oder ihm gar schadet.
Obwohl Natalie ihre Ärztin darum bittet, will diese ihr kein Cannabis verschreiben. Es seien noch weitere Tests nötig, man wisse nicht genug über die Heilpflanze. Somit verzögert sie Natalies Chance auf eine legale Cannabis-Therapie seit Jahren.
«Es treibt mich zur Weissglut, dass mir willentlich Steine in den Weg zu Besserung gelegt werden.»
Eine andere Ärztin zu finden ist schwierig, da sich kaum jemand öffentlich dazu bekennt, Cannabis-Therapien zu verschreiben. Natalie traut sich nicht, die Arztpraxen direkt anzufragen. «Ich habe Angst, dass sie mich als Drögeler abstempeln und wegweisen.»
Die Verzweiflung steht Natalie in das sanftmütige Gesicht geschrieben. «Ich wünsche mir, dass die Hürden zu einer wirkungsvollen Cannabis-Therapie endlich abgebaut werden. Der legale Zugang zur richtigen Hanfsorte würde mein Leben verändern.»
Wissenswertes zum Systemischen Lupus Erythematodes (SLE)
Die Krankheit kommt vorwiegend bei Frauen zwischen 20-30 vor. Laut Schätzungen sind in der Schweiz rund 1'200 bis 4'000 Menschen von SLE betroffen.
Was ist SLE?
Der systemische Lupus Erythematodes ist eine Autoimmunerkrankung. Dabei greift das Immunsystem körpereigene gesunde Zellen an und löst so eine Entzündungsreaktion aus, was zur Schädigung von Organen führen kann. Bei mehr als 50 Prozent der Betroffenen kommt es zu einem Befall der Nieren.
Bei Natalie lösen Stress, Bewegung und Sonnenlicht solche Schübe aus.
Die Symptome
Der Systemische Lupus Erythematodes kann zu sehr unterschiedlichen Symptomen führen. Neben Müdigkeit und Krankheitsgefühl berichten Betroffene über folgende Symptome:
- Fieber
- Empfindlichkeit gegen Sonnenlicht
- Gewichtsverlust und Appetitlosigkeit
- Haarausfall
- Schleimhautveränderungen im Mund (Aphten)
- Weissfärbung der Finger bei Kälte (Raynaud-Syndrom)
- Gelenkschmerzen und Schwellungen
- Symmetrische Rötung beider Wangen mit Verbindung über den Nasenrücken und an der Stirn